Bertram ist Pilzsammler, seit Jahren. Gerne streift er durch den Wald, den Blick immer auf seine kleinen Lieblinge, wie er die Pilze für sich nennt, gerichtet. Bei jedem Pilz, den er in seinen Korb legt, läuft ihm das Wasser im Mund zusammen. Er freut sich auf das Pilzgericht, das er sich am Abend zubereiten wird.
Nun ist etwas geschehen, das in all den Jahren noch nie geschehen ist. Bertram hat einen giftigen Pilz in seinen Korb gelegt, ohne es zu merken. Dieser Giftpilz ist dann vom Korb in die Pfanne, von dort in Bertrams Teller und anschliessend in seinen Magen gelangt. Die Folge: eine Pilzvergiftung.
Bertrams Problem
Ich bin kein Pilzsammler. Du vielleicht auch nicht. Ich habe andere Probleme – manchmal. Du vielleicht auch. In diesem Beitrag stelle ich dir die Problemlösungstreppe vor. Sie beschreibt den Problemlösungsprozess in fünf Stufen.
Lass uns Bertrams Problem als Beispiel nehmen, um den Problemlösungsprozess und die Problemlösungstreppe zu veranschaulichen. Auch wenn du (hoffentlich) und ich (sicher) keine Pilzvergiftung haben. Ich bin sicher, du wirst die fünf Stufen auch auf deine Probleme oder diejenigen von Menschen, die du begleitest, übertragen können. Doch bevor wir uns weiter mit Bertram beschäftigen, noch einige allgemeine Bemerkungen.
Der Grund, weshalb Probleme nicht gelöst werden
Niemand will Probleme – das behaupte ich jetzt einfach mal. Und trotzdem gibt es immer wieder Probleme, die nicht gelöst werden. Steckst du möglicherweise aktuell gerade in einem Problem fest und siehst keine Lösung. Oder gehört es zu deinem Beruf, andere Menschen bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen? Dann beschäftigt dich wahrscheinlich die Frage: weshalb werden Probleme nicht gelöst?
Die Antwort heisst Discount. Wenn du jetzt an einen Laden mit besonders billigen Produkten denkst, liegst du falsch. In der Transaktionsanalyse sprechen wir von Discounts oder vom Discounten, wenn jemand unbewusst Informationen nicht zur Kenntnis nimmt, die für die Lösung eines Problems relevant sind. Der Begriff wurde von der Familie Schiff (Schiff-Schule) im Zusammenhang mit ihren Ausführungen zur Passivität in die Transaktionsanalyse eingebracht. Übersetzt ins Deutsch könnte man einen Discount als Abwertung, Ausblendung, Missachtung oder Geringschätzung bezeichnen. Ich bleibe jetzt aber mal beim englischen Begriff.
Zurück zum Problemlösungsprozess. Bleibt jemand bei der Lösung eines Problems stecken, liegt also mindestens ein Discount vor. Oder anders formuliert: die Informationen, die für die Lösung wichtig sind, dürfen nicht discountet, sondern müssen wahrgenommen werden.
Die Problemlösungstreppe
Es gibt verschiedene Stufen, auf welchen discountet werden kann. Diese Stufen sind in der Problemlösungstreppe dargestellt.
Der Weg zur Problemlösung beginnt unten und führt über die jeweils nächst höhere Stufe.
Stufe 1: Hinweise auf das Problem
Auf der ersten Stufe geht es um Hinweise oder Anzeichen, welche darauf hindeuten, dass ein Problem besteht. Diese Anzeichen kannst du zur Kenntnis nehmen oder nicht. Wenn du bereits hier discountest – also die Hinweise übergehst -, ist klar, dass es keine Lösung geben wird.
Ich bringe Bertram wieder auf die Bühne. Zur Erinnerung: er hat einen giftigen Pilz nicht nur eingesammelt, sondern ihn auch vertilgt. Am nächsten Tag ist ihm übel. Übergeht er diese Übelkeit, nimmt also nicht wahr, dass mit seinem Körper etwas nicht in Ordnung ist, discountet er die Hinweise auf die Pilzvergiftung. Er wird nichts unternehmen. Die Pilzvergiftung wird weiter voranschreiten.
Nun will ich nicht den Teufel an die Wand malen. Bertram nimmt sehr wohl wahr, dass ihm übel ist. Zur Übelkeit gesellt sich auch noch Erbrechen und Durchfall (was auch sehr schwer zu übergehen wäre). Er anerkennt die Hinweise, die auf ein Problem – in Bertrams Fall die Pilzvergiftung – hinweisen. Die erste Stufe zur Lösung ist geschafft.
Stufe 2: Vorhandensein des Problems
Wenn du die Hinweise auf ein Problem wahrnimmst, muss das noch nicht heissen, dass für dich deshalb wirklich ein Problem besteht. Discountest du auf Stufe 2, dann existiert für dich kein Problem.
Bertram ist übel und er verbringt mehr Zeit auf der Toilette als sonst. Er hat nun zwei Möglichkeiten. Er könnte sagen: „Ach ein bisschen übel, ein bisschen Erbrechen, ein bisschen Durchfall. Das gibt's halt einfach manchmal.“ In diesem Fall würde er kein Problem sehen. Auch hier ist klar, dass es zu keiner Lösung kommt. Wo kein Problem ist, muss auch nichts gelöst werden.
Doch Bertram ist sich bewusst, dass mit seinem Körper etwas nicht in Ordnung ist. Er sieht, dass ein Problem besteht und hat damit die zweite Stufe im Problemlösungsprozess gemeistert.
Stufe 3: Bedeutsamkeit des Problems
Es gibt Probleme, denen misst du grosse Bedeutung zu, anderen weniger und wieder anderen gar keine. Hier liegt der Discount auf der dritten Stufe. Du siehst das Problem, es hat jedoch für dich keine Bedeutung.
Bertram könnte beispielsweise davon ausgehen, dass eine Pilzvergiftung nicht so schlimm ist. „Geht dann schon wieder vorüber.“ Er würde die Bedeutsamkeit seines Problems discounten und nichts unternehmen, um das Problem zu lösen.
Doch da wir Bertram weiter auf dem Weg zur Lösung begleiten wollen, sieht und anerkennt er, dass diese Pilzvergiftung für ihn bedeutsam ist. Er steht damit auf der dritten Stufe.
Stufe 4: Lösbarkeit des Problems
Gibt es überhaupt eine Lösung für mein Problem? Um diese Frage geht es auf der vierten Stufe. Wenn du hier discountest, gehst du davon aus, dass es für dein Problem keine Lösung gibt. Du bleibst stecken und löst dein Problem nicht.
„Es ist wirklich schlimm, so eine Pilzvergiftung. Doch da muss ich jetzt durch – bis zum bitteren Ende.“ Mit dieser Einstellung würde Bertram die Lösbarkeit seines Problems, der Pilzvergiftung, discounten und nichts weiter unternehmen.
Doch Bertram sieht es nicht so. Er weiss, dass er notfallmässig zu einem Arzt gehen und dieser etwas gegen die Vergiftung unternehmen kann. Er sieht eine Lösung: Stufe 4. Doch sein Problem ist noch nicht gelöst.
Stufe 5: Fähigkeiten zur Problemlösung
Es gibt noch eine letzte Stufe, auf der du discounten kannst. Du kannst deine Fähigkeiten oder diejenigen anderer Beteiligten discounten. Um aufzuzeigen, was damit gemeint ist, wenden wir uns nochmals Bertram zu.
Er weiss, es gibt Lösungen: Notfall, Arzt usw. Doch vielleicht denkt er: „Nein, ich kann doch jetzt nicht zum Arzt gehen. Was denkt er nur von mir? Ich als alter Pilzsammler esse einen giftigen Pilz… Ich müsste mich schämen.“ Er würde damit discounten, dass er fähig ist, einen Beitrag zur Lösung zu leisten. Anderes Szenario: „Mein Arzt kennt sich sicher nicht mit Pilzvergiftungen aus. Da brauche ich gar nicht hinzugehen.“ In diesem Fall geht es nicht um seine Fähigkeiten, sondern um diejenigen des Arztes.
Erst wenn Bertram auch hier nicht discountet, wird er sich auf den Weg machen und sein Problem lösen.
Der Problemlösungsprozess
Das Besondere am Problemlösungprozess: wer Informationen auf einer Stufe nicht wahrnimmt, bleibt stehen und discountet auch auf allen weiteren Stufen. Es wird nicht zum Erfolg führen, mit jemandem beispielsweise über die Lösbarkeit eines Problems zu sprechen, wenn die betreffende Person auf der Stufe der Hinweise stehen geblieben ist.
Steckst du in einem aktuellen Problem fest? Dann frage dich, auf welcher Stufe du stehst und welche Aspekte du discountest.
Begleitest du jemandem im Problemlösungsprozess, z. B. als Coach oder Berater, hilft dir die Problemlösungstreppe um allfällige Discounts zu identifizieren und aus dem Weg zu räumen.
Schreibe deine Erfahrungen mit der Problemlösungstreppe in die Kommentarfunktion! Ich bin gespannt…
Im Rahmen einer Präsentation während meiner Transaktionsanalyse-Grundausbildung habe ich 1999 die von Ken Mellor und Eric Sigmund konstruierte Discounttabelle vereinfacht. Dabei ist die Problemlösungstreppe entstanden. Im damaligen TA-Blog habe ich die Idee der Problemlösungstreppe 2008 und 2011 (in einer überarbeiteten Version) veröffentlicht. Für das Teaching am Training Endorsement Workshop (TEW) in Bilbao habe ich 2011 die mobile Version der Problemlösungstreppe entwickelt.
Andere Transaktionsanalytiker/innen haben die Discounttabelle in ähnlicher Form angepasst. So stellt beispielsweise Julie Hay ihre Steps to Success in Donkey Bridges for Development TA vor.