Du hast die Wahl

Du hast die Wahl

6. April 2019

Podcast-Episode zu diesem Beitrag

Mit Sozialkompetenz auf Du
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Ivan mag Äpfel. Besonders die Roten. Also eigentlich nur die Roten. Gelbe oder grüne Äpfel isst er nicht. Es ist nicht so, dass sie ihm nicht schmecken würden. Vielleicht würde er sie mögen. Doch er hat noch nie einen gelben oder grünen Apfel probiert. Weshalb das so ist, weiß er nicht. Wahrscheinlich ist es einfach die Gewohnheit.

Ich weiß nicht, ob es einen Menschen wie Ivan gibt, der nur rote Äpfel isst. Doch es geht ja hier nicht um Äpfel, sondern um die Entfaltung von Sozialkompetenz. Und wenn es um die Frage geht, wie du dich im Kontakt mit anderen verhältst, bist du wahrscheinlich manchmal auch ein bisschen wie Ivan.

„Ich kann nicht anders!“

Gerade dann, wenn nicht alles rund läuft – z. B. in Konfliktsituationen – neigen Menschen dazu, Verhaltensweisen zu zeigen, die für eine Lösung nicht förderlich sind. Das geschieht meist unbewusst. Du erlebst eine Art Zwang, auf eine bestimmte Art und Weise zu reagieren: „Wenn der andere mir so kommt, dann muss ich einfach …“

Wenn du so denkst, belügst du dich selbst. Wahrscheinlich ist es eine der verbreitetsten Lügen der Menschheit, dass wir nicht anders können. Du hast die Wahl, wie du dich verhalten, was du denken, was du sagen und auch wie du dich fühlen willst.

Ich-Zustände

Um aufzuzeigen, welches Repertoire an Verhaltensweisen du hast, stelle ich dir die Ich-Zustände vor – ein Modell aus der Transaktionsanalyse.

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, kannst du dir eine Art Archiv vorstellen, dass sich irgendwo in deinem Inneren befindet. Dieses Archiv verfügt über drei Bereiche. In jedem dieser Bereiche sind unterschiedliche Verhaltens-, Denk- und Gefühlsweisen abgelegt, die du jederzeit hervorholen und aktivieren kannst. Das kann bewusst geschehen und ganz oft geschieht das auch unbewusst.

1. Bereich: Kind-Ich

Du hast in deiner Kindheit Strategien entwickelt, wie du gut durch’s Leben kommst und wie du genügend Anerkennung erhältst. Aus diesen Strategien hast du dir Verhaltens-, Denk- und Gefühlsweisen zugelegt und in diesem Bereich deines inneren Archivs abgelegt.

2. Bereich: Eltern-Ich

Weiter hast du in deiner Vergangenheit auch Vorbilder gehabt. Eltern und andere Menschen, an denen du dich als Kind orientiert hast. Du hast beobachtet, wie sie ihr Leben gestalten, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen, welchen Lebensweisheiten sie folgen usw. Auch hier hast du vieles in dein inneres Archiv abgelegt und kannst es jederzeit wieder aktivieren. Ich entdecke mich beispielsweise immer wieder dabei, wie ich mich in bestimmten Situationen ganz ähnlich verhalte, wie mein Vater das früher getan hat.

3. Bereich: Erwachsenen-Ich

In deinem inneren Archiv gibt es einen weiteren Bereich. Hier stehen alle Möglichkeiten zur Verfügung, auf das Hier und Jetzt zu reagieren, ohne auf früher entwickelte oder übernommene Strategien zurückzugreifen.

Die sechs Varianten, in Erscheinung zu treten

Was du bei dir an Verhaltens-, Denk- und Gefühlsweisen abgelegt hast, sehe ich dir von außen nicht an. Es wird jedoch sichtbar, wenn du etwas davon aktivierst.

Es sind sechs Möglichkeiten, wie sich deine Ich-Zustände gegen außen zeigen können. Keine davon ist grundsätzlich gut oder grundsätzlich schlecht. Die Frage ist vielmehr, welches Verhalten ist der aktuellen Situation angemessen und welches nicht.

Diese sechs Varianten werden im sogenannten Funktionsmodell der Ich-Zustände dargestellt:

Funktionsmodell der Ich-Zustände

1. Freies Kind-Ich

In dieser ersten Variante steckt das ursprünglich Kindliche. Ist dieser Teil aktiv, dann kannst du dich grenzenlos für etwas begeistern. Du hältst deine Emotionen nicht zurück. Du machst, worauf du gerade Lust hast. Auch die Kreativität ist Teil des freien Kind-Ichs.

➕ spontan, lustvoll, kreativ, begeisterungsfähig, …

➖ egoistisch, rücksichtslos, undiszipliniert, …

2. Angepasstes Kind-Ich

Du hast in deiner Kindheit auch gelernt, dich anzupassen. Aktivierst du diesen Teil, dann machst du, was von dir verlangt wird. Deine eigenen Bedürfnisse und Wünsche stellst du in den Hintergrund.

➕ rücksichtsvoll, anpassungsfähig, höflich, …

➖ überangepasst, hilflos, unsicher, ohne Profil, …

3. Rebellisches Kind-Ich

Du hast dich vermutlich nicht immer angepasst, wenn etwas von dir verlangt wurde. Manchmal wirst du dagegen rebelliert haben. Auch diese Fähigkeit kannst du heute wieder aktivieren.

➕ fähig nein zu sagen, hinterfragend, gegen Ungerechtigkeit wehrend, …

➖ trotzig, schmollend, andere Meinungen niederreißend, …

4. Fürsorgliches Eltern-Ich

Deine Eltern oder andere Bezugspersonen haben dir Fürsorge entgegen­ge­bracht. Sie haben dich ernährt, gepflegt, getröstet, ermutigt. Diesem Vorbild kannst du heute folgen. Wenn du dies tust, dann ist dein fürsorgliches Eltern-Ich aktiv.

➕ fürsorglich, verständnisvoll, unterstützend, …

➖ überfürsorglich, einengend, Abhängigkeit erzeugend, …

5. Kritisches Eltern-Ich

Die Bezugspersonen in deiner Kindheit haben dich nicht nur umsorgt, sondern sie haben dir auch Grenzen gesetzt, dich auf Fehlverhalten aufmerksam gemacht und dich kontrolliert. Weil du das so erlebt hast, kannst du das auch heute zeigen.

➕ sinnvoll begrenzend, konstruktiv kritisierend, positiv konfrontierend, …

➖ abwertend, überkritisch, moralisierend, …

6. Erwachsenen-Ich

Zeigst du Erwachsenen-Ich, dann aktivierst du keine früheren oder übernommenen Strategien. Du zeigst dich sachlich beziehst dich auf die aktuelle Realität.

➕ objektiv, sachlich, problemlösend, realitätsbezogen, …

➖ wie ein Computer funktionierend, emotionslos wirkend, …

Bewusste Wahl

Beobachte dich mit der Brille der Ich-Zustände. Du wirst erfahren, wie sich die jeweiligen Ich-Zustände bei dir ganz konkret äußern. Das ist eine gute Grund­lage, um damit bewusst umzugehen.

Lässt du den letzten Tag oder ein paar Tage Revue passieren, wirst du fest­stellen, dass du viele dieser Ich-Zustände unbewusst aktivierst. Hier schließt sich der Kreis wieder. Wir sind bei dem, was ich am Anfang dieses Kapitels beschrieben habe.

Ein Beispiel: Du arbeitest mit jemandem zusammen, der immer wieder mal kritisches Eltern-Ich zeigt und dich von oben herab kritisiert und beschimpft. Möglicherweise ist deine gewohnte Reaktion darauf, dass du dich klein machst, ruhig wirst und tust, was der andere von dir verlangt. Du hast hier unbewusst dein angepasstes Kind-Ich aktiviert.

Da du nun die Ich-Zustände kennst, weißt du, dass andere Reaktionen möglich sind. Vielleicht gelingt es dir noch nicht im Moment selbst, anders als gewohnt zu reagieren. Dann reflektiere die Situation im Nachhinein und überlege, wie eine Reaktion aus den anderen fünf Ich-Zuständen aussehen würde. Und vielleicht gelingt es dir beim nächsten Mal, anders zu reagieren.

Andere Menschen kannst du nicht ändern. Der einzige Mensch, bei dem du den Hebel ansetzen kannst, bist du.

Die Ich-Zustände zeigen auf, dass du ein Repertoire an Möglichkeiten hast. Je öfter es dir gelingt, bewusst zu agieren, umso besser wird es dir gelingen, Beziehungen konstruktiv zu gestalten.

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