Magglingen

Sich einlassen, verändern, neu verbinden – der Bindungs-Kreislauf

15. Juli 2025

Wie George Kohlriesers Modell Beziehung als lebendigen Prozess sichtbar macht

Warum fällt es manchen Menschen schwer, Nähe zuzulassen? Warum berühren uns Veränderungen in Beziehungen oft so tief – selbst wenn sie nicht endgültig sind? Und was hilft uns, nach einem Umbruch wieder in Verbindung zu kommen – mit anderen und mit uns selbst?

George Kohlrieser, Transaktionsanalytiker, Konfliktvermittler und Professor, beschreibt mit dem Bindungs-Kreislauf ein einfaches und zugleich tiefgehendes Modell, das zeigt: Beziehung ist ein zyklischer Prozess, der uns prägt, fordert – und wachsen lässt.

Vier Phasen, die uns durchs Leben begleiten

Der Bindungs-Kreislauf besteht aus vier aufeinanderfolgenden Phasen:

  1. 1
    Annäherung – ein erster Schritt aufeinander zu
  2. 2
    Bindung – emotionale Nähe und Verbindung entstehen
  3. 3
    Veränderung – die Beziehung wandelt sich oder wird unterbrochen
  4. 4
    Loslassen – Abschied, Trauer und Neuorientierung

Im Original benennt George Kohlrieser die Phasen als Annäherung, Bindung, Trennung und Trauer. In diesem Beitrag habe ich einzelne Begriffe leicht angepasst, um meine persönliche Sicht und die inhaltliche Ausrichtung des Textes besser zum Ausdruck zu bringen. So wird beispielsweise Trennung als Veränderung und Trauer als Loslassen bezeichnet.

Kind mit Hund

Der Kreislauf beginnt mit dem Wunsch nach Nähe. Wenn wir uns auf eine andere Person oder ein gemeinsames Ziel einlassen, kann Bindung entstehen. In einer gelingenden Beziehung entsteht dann Raum für Vertrauen, gegenseitige Einflussnahme – und auch für Entwicklung. Doch genau dieser Raum kann sich mit der Zeit verändern: Wir spüren, dass sich etwas verschiebt. Das kann Irritation, Spannung oder den Impuls zur Neuorientierung auslösen.

Solche Veränderungsmomente verlangen oft, dass wir nicht festhalten, sondern offen bleiben – für den anderen, für uns selbst und für das, was sich wandeln will. Manchmal folgt darauf ein tatsächlicher Abschied, manchmal nur ein inneres Loslassen einer früheren Phase oder Vorstellung. In jedem Fall braucht es die Fähigkeit, zu trauern – und damit anzuerkennen, was war.

Wer den Abschied zulässt und den Schmerz nicht verdrängt, kann wieder offen werden für neue Begegnung, für Nähe, für ein neues Sich-Einlassen. Damit schließt sich der Kreis – und beginnt gleichzeitig neu.

Bindungs-Kreislauf

Bindung ist mehr als Sympathie

Kohlrieser macht deutlich: Bindung bedeutet Verbindung – nicht zwangsläufig Sympathie. Auch mit Menschen, zu denen wir im Konflikt stehen, ist es möglich (und oft notwendig), eine emotionale Verbindung aufzubauen. Besonders in herausfordernden Situationen kann Bindung den Weg ebnen für Vertrauen, Dialog und Lösung.

Es ist ein Mythos, dass sich eine Bindung nur zu Menschen herstellen lässt, die wir mögen.
– George Kohlrieser

Veränderung und Trauer: notwendige Übergänge

Veränderung ist Teil jeder Beziehung – manchmal schleichend, manchmal abrupt. Beziehungen entwickeln sich weiter, verschieben sich, kühlen ab oder enden. Oft geschieht dies nicht willentlich, sondern durch äußere Umstände oder inneres Wachstum.

Wichtig dabei: Veränderung bedeutet nicht immer, dass eine Beziehung aufgelöst wird. Manchmal wandelt sich „nur“ ihre Form – etwa wenn aus Nähe Distanz wird, sich Rollen verändern oder Prioritäten verschieben. Auch dann braucht es einen inneren Abschied vom Bisherigen, damit das Neue bewusst und lebendig werden kann.

Die passende Reaktion auf Veränderung ist Trauer. Nicht als Rückzug, sondern als bewusste Verarbeitung. Wer nicht trauert, bleibt innerlich gebunden an das Vergangene. Kohlrieser beschreibt acht Phasen der Trauer – von Verleugnung über Wut bis zur Dankbarkeit. Erst wenn dieser Prozess durchlaufen ist, kann echte Erneuerung geschehen.

Trauer ist überaus wichtig für die Stabilität, den inneren Antrieb, die Genesungsfähigkeit und das Wiederfinden der eigenen Kraft.
– George Kohlrieser
Rissiger Boden

Was der Bindungs-Kreislauf für unser Leben bedeutet

Wir sind Beziehungswesen. Selbst wenn wir es nicht bewusst wahrnehmen: Unser Wohlbefinden hängt stark davon ab, wie verbunden wir uns fühlen – mit Menschen, Aufgaben, Ideen, Orten.

Der Bindungs-Kreislauf zeigt, dass Beziehung nicht statisch ist, sondern sich wandelt: Es braucht Mut zur Nähe, Offenheit für emotionale Verbindung, Bereitschaft zur Veränderung und zum Verabschieden von Vergangenem. Erst dadurch wird Wachstum möglich.

Bindung – und damit echte Beziehung – ist nur möglich, wenn wir innerlich loslassen können. Solange wir an früheren Erfahrungen oder Bindungen festhalten, bleibt ein Teil von uns in der Vergangenheit gebunden – und es wird schwer, neue Verbindung in der Gegenwart wirklich einzugehen. Trauer ist der Weg, über den wir innerlich frei werden für Neues.

Die Aufarbeitung von Schmerzen über einen Verlust trägt zur Formung unserer Identität bei und fördert die eigene Weiterentwicklung.
– George Kohlrieser

Reflexionsfragen für dich

Wenn du magst, kannst du dir selbst ein paar Fragen stellen – als Impuls zur Selbstklärung:

  • Wie leicht gelingt es mir, Nähe herzustellen?
  • Welche Bindungen nähren mich – welche engen mich ein?
  • Wie gehe ich mit Veränderung, Abschied oder Verlust um?
  • Bin ich bereit, zu trauern – und mich neu zu öffnen?

Fazit

Der Bindungs-Kreislauf lädt uns ein, Beziehung nicht als etwas Starres, sondern als lebendigen, zyklischen Prozess zu verstehen. Auch wenn sich eine Beziehung nicht auflöst, sondern verändert, braucht es innerlich einen Abschied vom Alten, um das Neue wirklich leben zu können.

Wer sich traut, sich einzulassen, Raum zu geben, zu trauern und sich neu zu verbinden, bleibt verbunden – mit sich selbst, mit anderen und mit dem, was das Leben lebendig macht.

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